Polarisierung: Ökonomie und Gesellschaft
Wolfgang Bonß:
Das Ende der Kritik? Zur Individualisierung sozialer Konflikte in der Zweiten Moderne
Wie schon Max Weber festgestellt hat, zeichnen sich moderne Gesellschaften nicht unbedingt durch wachsende Freiheitspotentiale aus, sondern durch eine Gleichzeitigkeit von Freiheit und Entfremdung. Jenseits von Weber ist diese Entwicklung von Horkheimer/Adorno als eine „Dialektik der Aufklärung“ beschrieben worden. Unter Perspektiven der sozialen Strukturierung stellt sich diese Dialektik als ein Prozess der Individualisierung, Mobilisierung und Entgrenzung dar, in dessen Folge eine Auflösung der „Großgruppengesellschaft“ und eine „Verflüssigung“ sozialer Strukturierung mit ambivalenten Folgen zu verzeichnen ist. Die Vergesellschaftung über Arbeit und die damit verbundene Kritik des Lohnarbeitsverhältnisses stehen in diesem Zusammenhang letztlich immer weniger in Frage. Genau dies wirft die Frage auf, wo die Grundlagen für eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse geblieben und wie sie neu zu begründen sind. Auf diese Frage gibt es keine definitiven Antworten, wohl aber Antwortversuche, die oftmals tentativ bleiben und über deren Brauchbarkeit noch länger zu diskutieren sein wird.
Prof. Dr. Wolfgang Bonß, Soziologe; Professor für allgemeine Soziologie an der Universität der Bundeswehr, München; Stellvertretender Sprecher des Sonderforschungsbereichs 536 „Reflexive Modernisierung“ an der Ludwig Maximilians Universität, München
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Heinz Bude:
Muss eine kritische Gesellschaftstheorie auf Marx verzichten?
Der Inspiration Derridas folgend soll das Versprechen im Namen von Marx zur Sprache gebracht werden. Wenn der Name von Max Weber für die moderne Enttäuschung der „Entzauberung“ steht, dann ist im Namen von Marx nach wie vor der Wunsch verborgen, dass das letzte Wort der Geschichte noch nicht gesprochen ist. Marx ist kein Theoretiker der Gleichheit, sondern einer der Freiheit. Freiheit aber nicht in ihrer negativen Form als verbürgtes individuelles Einspruchsrecht, sondern in ihrem positiven Gehalt als ein aufs Kollektiv bezogenes Versprechen des Selbstseins. Muss heute eine kritische Gesellschaftstheorie die Versuchung einer solchen Freiheit im kollektiven Format theoretisch zurückweisen oder verlangt die Treue zur Sache nicht im Namen von Marx einen Begriff von Politik offen zu halten, der den Kollektivanspruch mit den Individualrechten versöhnt? Das liefe darauf hinaus, sich der theoretischen Mittel zu vergewissern, wie gegen die Herrschaft des Faktischen ein messianischer Begriff des Möglichen gedacht werden kann.
Prof. Dr. Heinz Bude, Soziologe; Leiter des Arbeitsbereichs "Die Gesellschaft der Bundesrepublik" am Hamburger Institut für Sozialforschung; Lehrstuhl für Makrosoziologie an der Universität Kassel
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Sighard Neckel:
Refeudalisierung der Ökonomie. Zum Strukturwandel kapitalistischer Wirtschaft
Als ideologische Ausgeburt des Neoliberalismus lässt sich der Finanzmarktkapitalismus der Gegenwart nur unzureichend begreifen. Auch stellt die Ökonomie der schnellen Gewinne und hohen Verluste nicht einfach einen Verfall rationaler Erwerbsprinzipien dar. Derselbe gesellschaftliche Prozess, der die wirtschaftlichen Institutionen zur Struktur eines Finanzmarktkapitalismus modernisierte, hat vielmehr im selben Moment soziale Formen der Verteilung von Einkommen, Anerkennung und Macht reetabliert, die in zeitgemäßen Erscheinungsweisen vormoderne Muster der sozialen Ordnung aktualisieren. Mit Rekurs auf den analytischen Topos der "Refeudalisierung", den Jürgen Habermas einst in seiner Studie über den "Strukturwandel der Öffentlichkeit" ausgearbeitet hat, wird die refeudalisierte Ökonomie der Gegenwart als eine Paradoxie kapitalistischer Modernisierung untersucht, deren Entstehungs- und Wirkungsmechanismen in vielfältiger Weise formale Ähnlichkeiten mit den institutionellen Transformationen moderner Öffentlichkeit aufweisen.
Prof. Dr. Sighard Neckel, Soziologe; Universitätsprofessor für Allgemeine Soziologie und Analyse der Gegenwartsgesellschaft an der Universität Wien; Mitglied der Leitung des Instituts für Sozialforschung, Frankfurt am Main
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Moderation: Martina Löw
Prof. Dr. Martina Löw, Soziologin; Professorin für Soziologie und geschäftsführende Direktorin der Technischen Universität Darmstadt
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