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Schlüsselbegriffe kritischer Gesellschaftstheorie: Risiko, Anerkennung, Gewalt

Ulrich Beck:
Deprovinzialisierung der Gesellschaftstheorie: Variationen Zweiter Moderne in kosmopolitischer Perspektive
Wenn eine Welt zusammenbricht, beginnt das Nachdenken darüber. Das gilt nicht für den heute vorherrschenden Typus der Gesellschaftstheorie, der in universalistischer Erhabenheit und schlafwandlerischer Unsicherheit über den Niederungen des epochalen Wandels (Klimawandel, Finanzkrise, Krise der Demokratie), hinweg schwebt. Diese universalistische Gesellschaftstheorie wird antiquiert und provinziell. Antiquiert wird sie, weil sie apriorisch ausschließt, was sich abzeichnet: ein Paradigmenwechsel von Gesellschaft und Politik in der Moderne. Provinziell wird sie, weil sie den pfadabhängigen Erfahrungs- und Erwartungsraum der westeuropäischen oder auch der US-amerikanischen Modernisierung fälschlich verabsolutiert und damit verkennt. Die Pointe ist: Dies richtet sich auch gegen den universalistisch gewendeten, europäischen Provinzialismus der Ursprungsannahmen der Theorie reflexiver Modernisierung. Wie die Gesellschaftstheorie für eine in einem historisch neuen Sinn interdependente, sich selbst gefährdende Zweite Moderne inhaltlich, methodologisch und normativ geöffnet werden kann, soll exemplarisch an Variationen von „Risikogesellschaft“ in kosmopolitischer Perspektive angedacht werden.

Prof. Dr. Ulrich Beck, Soziologe; bis 2009 Professor für allgemeine Soziologie und Vorstand des Instituts für Soziologie sowie Sprecher des Sonderforschungsbereichs 536 „Reflexive Modernisierung“ an der Ludwig Maximilians Universität, München
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Axel Honneth:
Verwilderungen des sozialen Konflikts. Anerkennungskämpfe zu Beginn des 21. Jahrhunderts
In einigen seiner materialen Analysen hat Talcott Parsons, so als sei er ein soziologischer Nachfahre Hegels, die Etablierung moderner Gesellschaften als einen Prozess der Ausdifferenzierung von verschiedenen Sphären der wechselseitigen Anerkennung beschrieben. Im Ausgang von diesen anerkennungstheoretischen Teilen der Gesellschaftsanalyse Parsons will ich in meinem Beitrag (1) kurz dessen Bild der Anerkennungskonflikte im industriellen Kapitalismus nachzeichnen, dann (2) die Entwicklungstendenzen charakterisieren, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einer schleichenden Verunsicherung über die Grenzlinien zwischen den normativ geordneten Anerkennungssphären geführt haben, um schließlich im letzten Schritt (3) die These einer „Verwilderung“ sozialer Konflikte zu umreißen, auf die mein Beitrag hinauslaufen soll.

Prof. Dr. Axel Honneth, Sozialphilosoph; Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
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Jan Philipp Reemtsma:
Gewalt und Vertrauen. Grundzüge einer Theorie der Gewalt in der Moderne
Nicht die Frage nach der Gewalttätigkeit "ganz normaler Männer" ist interessant, sondern die, warum sie angesichts der Weltgeschichte für interessant gehalten wird. Das liegt daran, dass die "Moderne" genannte Kulturformation insbesondere gegenüber der eigenen Gewalt ein besonderes Verhältnis herausgebildet hat: Gewalt steht unter einem ganz anderen Legitimationsdruck als in anderen Kulturen, und das Vertrauen in der und in die Moderne beruht weitgehend auf der – nur zu oft kontrafaktischen – Unterstellung, sie sei gewaltarm. Warum gibt es bisher keine befriedigende Soziologie der Gewalt? Auf welches Fundament wäre sie – systematisch hinsichtlich einer Phänomenologie körperlicher Gewalt, einer Analyse des Zusammenhangs von Macht und Gewalt sowie ihrer kommunikativen Funktion; historisch hinsichtlich der Frage, wie sich das besondere Verhältnis der Moderne zur Gewalt herausgebildet hat und welchen Veränderungen es angesichts der Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts unterworfen ist – zu stellen?

Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma, Philologe; Geschäftsführender Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung
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Moderation: Gertrud Nunner-Winkler
Prof. Dr. Gertrud Nunner-Winkler, Soziologin; bis 2006 Leiterin der Arbeitsgruppe ‚Moralforschung’ am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, München und Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München
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